Josef Weinheber


(1892 - 1945)





Primel


    Woher, du süße Erstlingin im März,
    nimmst du die unbeirrbare Gewalt
    und nennst die Schuld, von der die Erde hallt,
    und weckst das wirre Herz ?

    Und während es noch leise weiterweint,
    wer lehrte dich den sanften Sturm, der stet
    am Schmerze rührt und wie ein Reigen scheint,
    der von den Sternen weht -

    Wer führte dich, daß du zur rechten Zeit
    uns kamst (wir hatten kaum mehr, kaum gelebt)
    und blühst die Erde wieder gut und weit,
    indes das Herz noch leise weiterbebt ?


(top)





Buschwindröschen


      Du Mädchen - nein, Seele nur
      in blassem Mädchengesicht;
      Aufblick aus Hauch, und Spur
      aus Sternenlicht:

      Nähm ich dich, stürbest du. Aber wer,
      wer wagte, dein Mörder zu sein ?
      Stehst du, so zart, nicht hehr
      in der Opfer vordersten Reihn ?

      Du, so zart,
      Abklang aus Ahnung und Licht,
      bist nach der Edlen Art
      groß im Verzicht,

      groß im Ertragen auch.
      All der Sternflug, nachtvoll und schwer,
      stürzt auf dich, Aufblick aus Hauch,
      fessellos her -

      Du aber, welk und beraubt
      schon im Nahn einer Hand,
      stehst, trägst dem Schicksal ein Haupt
      klar zugewandt,

      blühst unterm Himmelssturz,
      schön, rein, still in des Daseins Haft.
      Leidend mit all deiner Kraft.
      Denn das Leben ist kurz ...

(top)





Immergrün


      Du weltversunknes Blau !
      Du Schatten scheu
      vom Mund der stillsten Frau.

      So tief, so fern, so ab
      von Glück und Reu.
      Wie Tränen auf ein Grab ...

      Gesegnet, dunkler Stern !
      Her blüht die Wimper treu
      und liebt und lächelt fern.

(top)





Herbstzeitlose


      Kränklicher Kelch,
      steigst in die Welt,
      wenn das Jahrblau
      rauchigem Rot verfällt.
      Ach, wenn es morgen schneit !
      Zitternder Hauch !

      Zeitloses Leid
      weiß um Weisheit auch;
      weiß um letztes Licht,
      lebt von der Not.
      Schicksal schändet nicht:
      Groß ist der Tod !

      Aber Vergängliches
      gibt schmaler Schönheit Kraft,
      eh sie ein herbstlicher Stern
      ewig entrafft.

(top)





Vergißmeinnicht


      O du leises Weh,
      o du kühler Schnee
      auf die schuldgebräunte Stirne her:
      Wie ein Weinen blinkt,
      da es niedersinkt,
      dieses Himmels stille Wiederkehr.

      Wie die Zeit verwich !
      Warum schaut ihr mich
      mit dem Kinderblick so traurig an ?
      Letzten Schmetterling,
      den der Knabe fing:
      Ach, ich wurde grau im Lebenswahn.

      Ja, Vergißmeinnicht ...
      aber keine spricht,
      keine Stimme mir das liebe Wort.
      Oh, ihr mahnt und klagt,
      aber ungefragt
      ist das Licht im Herzen mir verdorrt.

      Daß ich immer noch,
      daß ich nimmer doch
      wissen müßte um ein Kindheitsland !
      Längst nicht mehr gefühlt:
      Um so tiefer wühlt,
      daß ich wieder seine Sterne fand.

      O du leises Weh,
      o du kühler Schnee
      auf die schuldgebräunte Stirne her:
      Wie ein Weinen blinkt,
      da es niedersinkt,
      dieses Himmels stille Wiederkehr.

(top)





Glockenblume


      Leises Geläut !
      Heiliger Ort,
      handbreit;
      letztem Wort,
      letztem Weinen einsam bereit.

      Schmaler Raum,
      niederzuknien.
      mein Gott, hieher
      ist der Traum,
      ist die Lieb, ist die Stille gediehn.

      Unhörbar Geläut,
      festlichem Jahr:
      Wo blieb die Zeit,
      welche die deine war ?
      Die hier schreit
      und dröhnt.

      Welt vorbei,
      tiefblau und zart.
      Vollkommner Glanz:
      Ganz
      nimm das verschwisterte Herz
      in deine ferne Gegenwart !

(top)






(Homepage) | (My Poems)